Michael Fesser
2012-03-05 07:53:58 UTC
Hallo!
(Der wilde Crosspost sei mir verziehen, aber ich denke, die zusätzlichen
NGs werden zumindest gestreift. Fup2 drl)
Am Samstag, 3.3., fand auf der Baustelle des neuen Flughafens Berlin-
Brandenburg (BER) eine großangelegte Notfallübung statt. Simuliert wurde
die Bruchlandung eines A320 aus Moskau kommend, welcher im Landeanflug
in Schwierigkeiten gerät, hart aufsetzt und nach Bruch des rechten Fahr-
werks Feuer fängt. Der Flieger wurde zwar "nur" durch zwei Niederflur-
busse dargestellt, der Rest drumherum war jedoch so real wie möglich.
Insgesamt waren rund 700 Personen an der Übung beteiligt, davon 100
Komparsen.
Hier ein Augenzeugenbericht von mir als mittelschwer Verletztem, am Ende
Links zu Presse- und TV-Berichten.
Irgendwann packe ich diesen Bericht auch auf meine Website, aber das
dauert noch etwas, daher erstmal hier in aller Ausführlichkeit.
* * *
Um kurz vor 10 wurden wir am Bahnhof Schönefeld aufgesammelt und nach
Abgleich mit der Passagierliste wie schon bei der Vorbereitungsveran-
staltung mit Bussen zum BER-Terminal gefahren.
In einem Zelt direkt vor dem Terminal standen wie zuvor warme und kalte
Getränke zur Verfügung. Doch zunächst war Anstehen angesagt, da alle
Komparsen für den Tag ihre Ausweise erhielten, die offen sichtbar zu
tragen waren. Zudem bekamen wir unser Flugticket, die Bordkarte sowie
einen Plan des Übungsgeländes auf der südlichen Start- und Landebahn.
Nach der Begrüßung durch die Leiter der Übung und des Johanniter-RUD-
Teams Lausitz ("Realistische Unfalldarstellung") war zunächst erstmal
Warten angesagt. Verzögerungen ergaben sich auch, da eine Reihe Teil-
nehmer doch noch abgesprungen waren und somit eine Handvoll Verletzte
"nachnominiert" werden mußte. Die Auswahl und der Abgleich interner
Listen zog sich etwas hin, was aber nicht weiter dramatisch war - wir
saßen ja halbwegs warm und waren versorgt.
Aufgrund der großen Zahl Absprünge mußte auch die eigentlich für diesen
Tag vorgesehene "Familienzusammenführung" abgesagt werden - die frischen
Singles bzw. Witwer sollten sich nun einfach nach Belieben zu spontanen
Freundschaften zusammenfinden, wenn gewollt. Für den Ablauf der Übung
war das aber nicht von großer Bedeutung.
Irgendwann im Laufe des Vormittags wurden durch einen Leiter der Übung
sowie einen Vertreter der Polizei die Komparsen vorübergehend in
Verletzte und Unverletzte getrennt. Die Unverletzten sollten nach dem
Unfall polizeilich erfaßt und befragt werden und erhielten für diesen
Zweck ihre "Reisepässe".
Inzwischen war auch das Schminkteam eingetroffen und bereit. Für die
Verletzten begann nun die Präparation an 4 Stationen, je nach Verlet-
zung: Leicht, Mittel, Schwer, Tod. Wir wurden der Reihe nach namentlich
aufgerufen und an der jeweiligen Station "behandelt" sowie mit Tipps für
das Spielen unserer Verletzungen versorgt. Das Schminken selbst dauerte
jeweils nur wenige Minuten, doch die erzielten Effekte mit festen und
flüssigen Farben, Wachs, Ruß sowie ggf. weiteren Utensilien (in einigen
Fällen Behelfskleidung) waren erstaunlich. Auch der Hinweis bei der
Vorbereitungsveranstaltung, am Tag der Übung möglichst in entbehrlicher
Kleidung zu erscheinen, war nicht ganz unbegründet.
Gegen Mittag wurden dann für alle Beteiligten und etwas später auch für
die dazukommenden Beobachter zur Stärkung Lunchpakete verteilt:
* Ciabattabrot mit Leberkäse und Rotkrautsalat,
alternativ auch mit Käse
* Berliner ("Pfannkuchen")
* Rote Grütze mit einem Klecks Vanillesoße
* 0,5l Multivitaminsaft
Zusätzlich standen nach wie vor Kaffee, Tee und Wasser zur Verfügung.
Parallel lief das Schminken der Verletzten weiter. Insbesondere die
krassen Fälle wie blasses Leichengesicht, offene Bauchverletzung,
Verletzung der Halsschlagader oder dicke Glassscherbe im Arm sorgten für
großes Erstaunen und Begeisterung sowie den ein oder anderen makaberen
Kommentar ("Damit solltest Du mal zum Arzt!") Doch auch zahlreiche blu-
tige Glassplitter im Gesicht, Hautfetzen oder offene Knochenbrüche sahen
erschreckend echt aus - ein großes Kompliment an das RUD-Schminkteam.
Bald darauf wurde es deutlich voller und lauter im Zelt, als zahlreiche
Beobachter verschiedenster Dienste eintrafen: Vertreter von Feuerwehren,
Polizei, Notärzte, Notfallseelsorger, Katastrophenschutz u.v.a., welche
der Übung lediglich beiwohnen sollten, aber nicht aktiv eingriffen.
Diese erhielten zuvor auch gesonderte Ausweise.
Der Leiter des RUD-Teams erklärte uns nun gruppenweise an den Tischen
(aufgrund der Lautstärke im Zelt war es anders nicht mehr möglich)
nochmals den Ablauf der kommenden Übung. Insbesondere wurden letzte
Tipps zu den Verletzungen gegeben, z.B. um nicht gerade mit gebrochenem
Handgelenk auf die Retter zuzulaufen und dabei zu winken. Auch wurden
wir nochmals ermahnt, zwar unsere jeweilige Rolle auszureizen, es aber
nicht zu übertreiben. Spätestens die Bundespolizei würde irgendwann
keinen Spaß mehr verstehen, und nach einem beherzten Drehen eines Arms
auf den Rücken wäre im Ernstfall auch der Griff zur "Goldenen Acht",
sprich: Handschellen, nicht mehr weit. Auch wurde im Laufe der Vorberei-
tung noch mehrfach erwähnt, im Falle einer echten Verletzung "Tatsache"
zu sagen, damit die Retter Bescheid wissen und das nicht für einen Teil
der Rolle halten.
Gegen 14 Uhr wurden wir dann nach draußen geführt, während drinnen das
Briefing der Beobachter begann. Für uns gab es letzte Hinweise, eine
abschließende Passagierliste, wobei sich u.a. herausstellte, daß eine
eigentlich eingeplante Großfamilie bis auf einen einzigen Angehörigen
"verstorben" war, sowie kurzes Posieren für ein paar Gruppenfotos.
Danach ging es direkt mit dem Bus raus auf's Rollfeld.
Der Weg dorthin war allerdings weit. Aufgrund der Baumaßnahmen gab es
offenbar keine Verbindung vom Terminal aus zum südlichen Vorfeld, so daß
wir zunächst über die direkte Terminalzufahrt in Richtung Autobahn das
Flughafengelände komplett verließen, um es dann über eine andere öst-
liche Einfahrt wieder zu befahren. Unterwegs standen bereits zahlreiche
Feuerwehrfahrzeuge in Reih und Glied am Straßenrand und ihre Besatzungen
"Gewehr bei Fuß".
Das letzte Stück der Fahrt führte schließlich direkt über die neu
gebaute südliche Start- und Landebahn (SLB), vorbei an großflächig
ausgelegten "X"en aus Folie - die Bahn ist halt noch nicht in Betrieb -
zum sogenannten Abroller M5, welcher als Unfallschauplatz diente.
(Interessant ist übrigens die Feinstruktur der SLB - so aus der Nähe
sieht man das ja auch selten (und ich hatte genügend Zeit, mir das
anzuschauen): Unzählige und erstaunlich tiefe Querrillen in nur wenigen
cm Abstand voneinander zur Vermeidung von Aquaplaning durchziehen die
gesamte Piste.)
Vor Ort waren neben den beiden Bussen, welche den verunglückten A320
darstellten, bereits zahlreiche Pressevertreter und andere Beobachter
versammelt. Eine Hebebühne erlaubte den Fotografen Aufnahmen von oben.
Nach letzten Einweisungen stiegen wir in das "Flugzeug" um, also in die
beiden Busse. Nach kurzer Zeit fiel auf, daß wir eigentlich alle
verkehrtherum saßen und quasi rückwärts flogen - die rechte "Tragfläche"
und somit die Pyrotechnik befand sich links von uns. Die Busse standen
aber nunmal so und für den Verlauf der Übung war das auch nicht weiter
von Bedeutung.
Das RUD-Team ging ein letztes Mal durch das "Flugzeug" und verteilte
großzügig frisches "Blut":
* Jede offene Wunde wurde ausgiebig getränkt (O-Ton: "Wir haben auch 5l-
Kanister ...")
* Der Passagier mit der großen Glasscherbe im Arm wurde unter Gelächter
gar nochmal nach draußen auf die Piste beordert und dort gründlich
"versorgt".
* Anderen Opfern lief das Blut in langen Bahnen übers Gesicht oder aus
offenen Wunden an Hals, Armen und Beinen.
* Einzelnen Passagieren wurde mittels Spritzen in den Mund die Möglich-
keit gegeben, Blut zu husten (infolge Rippenbruchs und Perforation der
Lunge) und damit ggf. die Retter buchstäblich anzuspucken.
* Eine Passagierin bot einer Mitarbeiterin des RUD-Teams, welche sich
ihre blutverschmierten Hände abwischen wollte, bereitwillig ihren
Jackenärmel an.
Letzte Absprachen, kurz vor 15 Uhr ging es dann los ...
Neben dem "A320" zündete die Pyrotechnik und eine Menge Rauch stieg auf.
Der Wind trieb diesen über die Busse hinweg, wodurch auch wir tatsäch-
lich eine Menge davon abbekamen. Anfangs noch belustigt, gingen dann
doch alle in ihre Verletzten-Rollen über. Nach anfänglichen Hinweisen an
die Crew ("Rauch!" "Da brennt was!") ging es dann zwar hektisch, aber
doch halbwegs geordnet ins Freie. Irgendjemand packte auch mich und wir
stolperten gemeinsam irgendwie raus.
Währenddessen war auch bereits die Feuerwehr von der westlichen Wache
herangerauscht, allen voran das 40t-Monster "Panther", und begann in
dichtem Qualm - sie standen direkt im Wind - mit der Brandbekämpfung.
Kurz danach kam von der Ostseite her Unterstützung.
Ich selbst habe zunächst, durch den Rauch wild hustend und keuchend, das
Weite gesucht, während mein Arm heftig blutete. Auf der Flucht von dem
brennenden Wrack weg hätte ich mich beinahe noch wirklich auf die Nase
gelegt, bin dann aber irgendwann in halbwegs sicherer Entfernung einem
anderen Passagier und schließlich einem Feuerwehrmann in die Arme
gelaufen, der mich auf eine bereitstehende Trage legte. Nach und nach
kamen weitere Passagiere dazu bzw. wurden von den Ersthelfern dort am
Fahrzeug gesammelt. Dummerweise im Schatten, was recht schnell recht
kühl wurde.
Und nun kam ein echter Zwischenfall: Aufgrund meiner heftigen gekünstel-
ten Husterei durch Rauchgasvergiftung und auch tatsächlich des Rauches
wegen bekam ich echte Atemprobleme. Zwar nicht dramatisch, aber ich
mußte mich auf der Trage doch erstmal aufsetzen. Kurz darauf war auch
ein Mitarbeiter des RUD-Teams bei mir und fragte "Tatsache oder Rolle?"
"Beides." Auch ein Feuerwehrmann war dabei, der mich erstmal in das
Fahrzeug setzte. Mit einer kurzen Inhalation war die Sache schnell
wieder gut, aber ich wurde vorsorglich doch "neutralisiert", d.h. aus
der Übung genommen, und sollte mit dem nächsten Bus vom Unfallort
weggefahren werden. Nach kurzer Absprache - auch mit der Übungsleitung
und der Polizei, damit die nicht plötzlich einen vermissten Passagier
haben - stieg ich dann in einen Kleinbus, wo ein paar der Beobachter
saßen. Die kuckten zwar erstmal komisch, was ich als "Verletzter" da
will, aber das war schnell geklärt.
So konnte ich also von dort aus ein bißchen zuschauen und mithören, was
die Beobachter so für Gedanken austauschten. Z.B. wunderten diese sich,
daß direkt neben uns und somit in unmittelbarer Nähe zum Unfallort der
Bus stand, in welchem unter polizeilicher Beobachtung die Unverletzten
gesammelt wurden, um später ins Konferenzzentrum des Flughafens gefahren
zu werden. Daß Menschen so dicht am Ort des Geschehens gesammelt werden
und praktisch ohnmächtig mitansehen müssen, wie ihre Angehörigen nur ein
paar Meter entfernt vor Schmerzen schreien oder gar sterben, stieß bei
den Beobachtern doch auf ziemliches Unverständnis.
Kurze Zeit später stieg dann plötzlich ein Sanitäter zu und fragte nach
der Person mit dem Asthma ...
Ich also raus und rüber in einen Rettungswagen (RTW). Es war tatsächlich
für meine "Tatsache" ein echter Notruf rausgeschickt worden und ich hat-
te meinen eigenen Rettungswagen! Der Arzt erklärte mir dann auch prompt
die Verwunderung in der Leitstelle, daß direkt nach dem Notruf wegen des
BER-Crashs noch zwei weitere eingingen, so als ob sich da jemand einen
Scherz erlaubt hätte. Aber beide waren echt. Die andere "Tatsache" war
ein Herzanfall oder sogar ein Herzinfarkt, zumindest war immer von letz-
terem die Rede, wenn man so Gespräche bzw. Funkverkehr mithören konnte.
Nach kurzem Gespräch mit dem Arzt, der üblichen Aufnahme der Personalien
und einem kurzen Check (Lunge, Sauerstoffgehalt des Blutes, Blutdruck,
alles OK) hatte ich die Wahl, entweder wirklich mit ins Krankenhaus zu
fahren oder wieder bei der Übung weiterzumachen. Eine echte Rettungs-
fahrt war aber nicht Sinn der Sache und mir gings auch wieder gut, daher
entschied ich mich natürlich für letzteres, bin raus aus dem RTW und
gesellte mich nach kurzer Rücksprache mit einem der Übungsleiter wieder
zu den Verletzten in der Sicherheitszone.
Und nun saß ich da also auf der SLB, leicht benommen, geschockt, schwer
atmend, mit schmerzendem Arm und tatsächlich frierend, während um mich
herum die Verletzten stöhnten und sich leichter verletzte Passagiere um
Hilfe und vor allem um wärmende Decken bemühten, welche anfangs kaum
vorhanden waren. Einzig ein paar wenige Rettungsfolien waren verfügbar -
bei dem Wind keine einfache Sache. Später kamen mit den eintreffenden
Rettungskräften auch endlich weitere wärmende Decken dazu. Zudem wurden
wir - sofern möglich - zu kleinen Gruppen zusammengesetzt, um uns
wenigstens gegenseitig etwas wärmen zu können. Ein Sanitäter saß bei
meinem Begleiter und mir und fragte immer wieder mal nach dem Befinden.
Mittlerweile war auch ein großes Zelt aufgebaut worden, in welches dann
die Verletzten auf Tragen gebracht wurden. Zudem waren Ärzte zu einer
ersten Bestandsaufnahme durch die Menge gegangen und hatten jedem Opfer
eine sogenannte Anhängekarte verpaßt, jeweils mit einer ersten Diagnose
sowie einer Einschätzung in Form einer Farbkarte, von grün/leichtver-
letzt über gelb bis rot/schwerverletzt. Blau und schwarz gab es übrigens
auch ...
Soweit zumindest die Theorie. Praktisch wurde bei einigen Passagieren
jedoch überhaupt keine Erstdiagnose aufgeschrieben, sondern einfach nur
so eine Farbkarte umgehängt. Andere wurden nach eigener Aussage von ein
und derselben Ärztin mehrfach befragt. Gerade zu Beginn der Übung
herrschte neben dem natürlich zu erwartenden Chaos doch auch eine
ziemliche Ratlosigkeit bzw. Überforderung auf Seiten der Einsatzkräfte.
Zumindest kam es uns so vor, als ob viele nicht so recht wüssten, was
sie nun tun sollten und wer überhaupt was zu sagen hat.
Zudem schienen so manche Retter nicht mit dem nötigen Ernst bei der
Sache zu sein bzw. sich zu sehr bewußt zu sein, daß es ja nur eine Übung
ist. Mein Ersthelfer von der Feuerwehr meinte zu meiner Armverletzung
nur "was immer das sein soll", bevor er einen flüchtigen Verband mit
lockerem Knoten anlegte.
Manche seiner Kollegen reagierten ähnlich unsensibel: "Andere sind noch
schlimmer dran als sie." - das mag zwar stimmen, trotzdem kann und darf
man sowas niemals einem verletzten, traumatisierten Passagier sagen, der
um Hilfe bittet! Und meine eigene Rauchgasvergiftung wurde trotz blauer
Lippen, Atemproblemen, Husten und verrußtem Gesicht gar nicht erkannt,
die Armverletzung (Schürf- und schwere Schnittwunde) nach Notverband als
leichte Verletzung eingestuft und fertig - grün. Vielleicht hätte ich
doch noch kollabieren sollen ...
Die absolute Krönung - und somit ein ziemliches Versagen zumindest eines
Teils der Rettungskräfte bzw. Betreuer - war die Tatsache, daß insgesamt
fünf als leicht verletzt eingestufte Passagiere - mich eingeschlossen -
in den Bus mit den Unverletzten gebracht wurden, welche ins Konferenz-
zentrum des Flughafens zur polizeilichen Erfassung und Befragung
gebracht werden sollten. Wir hatten dafür natürlich keinerlei Papiere.
Die den Bus begleitenden Polizisten schauten denn auch recht verwundert
und fragten sich, wieso jetzt plötzlich Verletzte eingeladen werden.
Zudem dauerte so manches ihrer Meinung nach ohnehin viel zu lange.
Eine Dame im hinteren Teil des Busses wies immer wieder auf ihre stark
im Gesicht blutende Begleiterin hin (Glassplitter in der Wange) und das
diese einen Arzt bräuchte. Nach kurzem Hin und Her blieben beide jedoch,
rat- und hilflos, im Bus.
Wir fuhren also ins Konferenzzentrum. Während der Fahrt konnte ich die
Unterhaltung der begleitenden Polizisten und somit auch den Polizeifunk
mithören. Die Beamten selbst waren verwundert bzw. sogar etwas besorgt
darüber, daß die Passagiere praktisch mithören können, wie über Funk
aktuelle Meldungen und vor allem Opferzahlen durchgegeben werden. So
wurde während der Fahrt z.B. durchgegeben, daß die Feuerwehr aktuell von
drei Toten und soundsoviel Verletzten ausgeht. Man stelle sich trauma-
tisierte Angehörige vor, die sowas mit anhören müssen. Aber im Ernstfall
scheint das wohl nicht ausgeschlossen zu sein.
Auch nicht ganz ohne war die Konfusion zwischen den einzelnen Verant-
wortlichen und Organisationen über die tatsächliche Besetzung des
Busses, schließlich waren unter den 27 Passagieren ja auch 5 Verletzte,
die eigentlich gar nicht hätten an Bord sein dürfen.
Unterwegs unterhielten sich die Polizisten u.a. auch über die echten
Probleme während der Übung, also die "Tatsachen". Der "Asthmafall" saß
innerlich grinsend direkt hinter ihnen, abermals war von einem Herz-
infarkt die Rede sowie gar von einer dritten Tatsache und einem, der
wohl von selbst ausgestiegen war. Und tatsächlich saß schräg hinter mir
ein "Toter" ...
Im Konferenzzentrum ging es nicht minder sonderbar weiter. Zwar wurde
direkt für leibliche Stärkung in Form von Gebäck und Getränken gesorgt,
doch mehr als "Wir kümmern uns um sie." haben zumindest wir verletzten
"Irrläufer" nicht erfahren. Wir standen rum und unterhielten uns. Es war
eine Atmosphäre wie auf einem Empfang oder einem Messestand. Wäre jemand
von uns nochmal ernsthaft in seine Rolle gefallen und womöglich dort im
Saal blutend oder rauchgasvergiftet zusammengebrochen - da hätte keiner
gewußt, was zu tun ist.
Irgendwann kam dann einer der RUD-Betreuer zu uns und teilte uns mit,
wir wären "neutralisiert", da wir schließlich gar nicht hier sein
dürften: Da hatten einige der Rettungskräfte schlichtweg Mist gebaut.
Nun dienen solche Übungen natürlich auch dazu, derartige "Fehlpässe"
aufzudecken, etwas erschreckend war es aber schon. Wir standen dann also
ein Weilchen entspannt im Foyer rum, aßen Kekse, tranken Wasser und
plauderten, während uns immer wieder Mitarbeiter vom "Airport Care Team"
fragten, ob wir denn schon erfaßt worden wären. Wir kassierten so einige
verwunderte Blicke, als wir ihnen stets mitteilten, daß wir nicht mehr
"mitspielten". Irgendwann trafen mit einem Krankentransport sogar noch
drei weitere Verletzte ein, einer davon gar mit gebrochenem Arm. Dieser
war zwar immerhin schon geschient worden, aber ein Konferenzzentrum ist
für derartige Verletzungen sicherlich nicht der optimale Ort.
Kurz danach war die Übung dann auch offiziell beendet, es war mittler-
weile weit nach 18 Uhr. Wir wurden zurück zum Ausgangspunkt am Terminal
gefahren und bekamen nach kurzer Abschlußrede einen Fragebogen zu
unserer Einschätzung der Übung in die Hand gedrückt. Nach Abgabe unserer
Ausweise bekamen wir als Dankeschön einen Beutel mit ein paar Gimmicks
und Werbegeschenken des Flughafens sowie einiger Airlines, darunter auch
ein Gutschein für freien Eintritt auf der neuen BER-Besucherterrasse.
Sowas nimmt man doch gerne mit. Dann ging es mit Bussen zurück zum
Bahnhof Schönefeld. Viele von uns waren noch immer voll geschminkt, was
u.U. im ÖPNV noch für einige Irritationen gesorgt haben dürfte.
Alles in allem war es ein höchst spannendes und auch sehr unterhalt-
sames Erlebnis. Gerade auch die Pannen und Zwischenfälle erlaubten so
manche Einblicke bzw. andere Betrachtungsweisen, die man sonst gar nicht
erfährt. Wir Komparsen - ich denke, da kann ich guten Gewissens für alle
sprechen - hatten jedenfalls eine Menge Spaß. Einige der Rettungskräfte
haben zwar noch Hausaufgaben zu machen bzw. hier und da mangelt es an
der Abstimmung, doch dafür sind solche Übungen da und das Gesamtfazit
fällt wohl größtenteils positiv aus. Bleibt nur zu hoffen, daß es bei
solchen Übungen bleibt - den Ernstfall will keiner.
* * *
Links:
TV-Bericht des RBB
http://www.rbb-online.de/brandenburgaktuell/archiv/index.media.!etc!medialib!rbb!rbb!aktuell!dossier!aktuell_20120303_probe.html
Posdamer Neueste Nachrichten
http://www.pnn.de/brandenburg-berlin/628660/
RUD-Team Lausitz
http://www.johanniter.de/dienstleistungen/fuer-veranstaltungen/sanitaetsdienste/realistische-unfalldarstellung/rud-lausitz/nachrichten/crash-ber-2012/
Micha
(Der wilde Crosspost sei mir verziehen, aber ich denke, die zusätzlichen
NGs werden zumindest gestreift. Fup2 drl)
Am Samstag, 3.3., fand auf der Baustelle des neuen Flughafens Berlin-
Brandenburg (BER) eine großangelegte Notfallübung statt. Simuliert wurde
die Bruchlandung eines A320 aus Moskau kommend, welcher im Landeanflug
in Schwierigkeiten gerät, hart aufsetzt und nach Bruch des rechten Fahr-
werks Feuer fängt. Der Flieger wurde zwar "nur" durch zwei Niederflur-
busse dargestellt, der Rest drumherum war jedoch so real wie möglich.
Insgesamt waren rund 700 Personen an der Übung beteiligt, davon 100
Komparsen.
Hier ein Augenzeugenbericht von mir als mittelschwer Verletztem, am Ende
Links zu Presse- und TV-Berichten.
Irgendwann packe ich diesen Bericht auch auf meine Website, aber das
dauert noch etwas, daher erstmal hier in aller Ausführlichkeit.
* * *
Um kurz vor 10 wurden wir am Bahnhof Schönefeld aufgesammelt und nach
Abgleich mit der Passagierliste wie schon bei der Vorbereitungsveran-
staltung mit Bussen zum BER-Terminal gefahren.
In einem Zelt direkt vor dem Terminal standen wie zuvor warme und kalte
Getränke zur Verfügung. Doch zunächst war Anstehen angesagt, da alle
Komparsen für den Tag ihre Ausweise erhielten, die offen sichtbar zu
tragen waren. Zudem bekamen wir unser Flugticket, die Bordkarte sowie
einen Plan des Übungsgeländes auf der südlichen Start- und Landebahn.
Nach der Begrüßung durch die Leiter der Übung und des Johanniter-RUD-
Teams Lausitz ("Realistische Unfalldarstellung") war zunächst erstmal
Warten angesagt. Verzögerungen ergaben sich auch, da eine Reihe Teil-
nehmer doch noch abgesprungen waren und somit eine Handvoll Verletzte
"nachnominiert" werden mußte. Die Auswahl und der Abgleich interner
Listen zog sich etwas hin, was aber nicht weiter dramatisch war - wir
saßen ja halbwegs warm und waren versorgt.
Aufgrund der großen Zahl Absprünge mußte auch die eigentlich für diesen
Tag vorgesehene "Familienzusammenführung" abgesagt werden - die frischen
Singles bzw. Witwer sollten sich nun einfach nach Belieben zu spontanen
Freundschaften zusammenfinden, wenn gewollt. Für den Ablauf der Übung
war das aber nicht von großer Bedeutung.
Irgendwann im Laufe des Vormittags wurden durch einen Leiter der Übung
sowie einen Vertreter der Polizei die Komparsen vorübergehend in
Verletzte und Unverletzte getrennt. Die Unverletzten sollten nach dem
Unfall polizeilich erfaßt und befragt werden und erhielten für diesen
Zweck ihre "Reisepässe".
Inzwischen war auch das Schminkteam eingetroffen und bereit. Für die
Verletzten begann nun die Präparation an 4 Stationen, je nach Verlet-
zung: Leicht, Mittel, Schwer, Tod. Wir wurden der Reihe nach namentlich
aufgerufen und an der jeweiligen Station "behandelt" sowie mit Tipps für
das Spielen unserer Verletzungen versorgt. Das Schminken selbst dauerte
jeweils nur wenige Minuten, doch die erzielten Effekte mit festen und
flüssigen Farben, Wachs, Ruß sowie ggf. weiteren Utensilien (in einigen
Fällen Behelfskleidung) waren erstaunlich. Auch der Hinweis bei der
Vorbereitungsveranstaltung, am Tag der Übung möglichst in entbehrlicher
Kleidung zu erscheinen, war nicht ganz unbegründet.
Gegen Mittag wurden dann für alle Beteiligten und etwas später auch für
die dazukommenden Beobachter zur Stärkung Lunchpakete verteilt:
* Ciabattabrot mit Leberkäse und Rotkrautsalat,
alternativ auch mit Käse
* Berliner ("Pfannkuchen")
* Rote Grütze mit einem Klecks Vanillesoße
* 0,5l Multivitaminsaft
Zusätzlich standen nach wie vor Kaffee, Tee und Wasser zur Verfügung.
Parallel lief das Schminken der Verletzten weiter. Insbesondere die
krassen Fälle wie blasses Leichengesicht, offene Bauchverletzung,
Verletzung der Halsschlagader oder dicke Glassscherbe im Arm sorgten für
großes Erstaunen und Begeisterung sowie den ein oder anderen makaberen
Kommentar ("Damit solltest Du mal zum Arzt!") Doch auch zahlreiche blu-
tige Glassplitter im Gesicht, Hautfetzen oder offene Knochenbrüche sahen
erschreckend echt aus - ein großes Kompliment an das RUD-Schminkteam.
Bald darauf wurde es deutlich voller und lauter im Zelt, als zahlreiche
Beobachter verschiedenster Dienste eintrafen: Vertreter von Feuerwehren,
Polizei, Notärzte, Notfallseelsorger, Katastrophenschutz u.v.a., welche
der Übung lediglich beiwohnen sollten, aber nicht aktiv eingriffen.
Diese erhielten zuvor auch gesonderte Ausweise.
Der Leiter des RUD-Teams erklärte uns nun gruppenweise an den Tischen
(aufgrund der Lautstärke im Zelt war es anders nicht mehr möglich)
nochmals den Ablauf der kommenden Übung. Insbesondere wurden letzte
Tipps zu den Verletzungen gegeben, z.B. um nicht gerade mit gebrochenem
Handgelenk auf die Retter zuzulaufen und dabei zu winken. Auch wurden
wir nochmals ermahnt, zwar unsere jeweilige Rolle auszureizen, es aber
nicht zu übertreiben. Spätestens die Bundespolizei würde irgendwann
keinen Spaß mehr verstehen, und nach einem beherzten Drehen eines Arms
auf den Rücken wäre im Ernstfall auch der Griff zur "Goldenen Acht",
sprich: Handschellen, nicht mehr weit. Auch wurde im Laufe der Vorberei-
tung noch mehrfach erwähnt, im Falle einer echten Verletzung "Tatsache"
zu sagen, damit die Retter Bescheid wissen und das nicht für einen Teil
der Rolle halten.
Gegen 14 Uhr wurden wir dann nach draußen geführt, während drinnen das
Briefing der Beobachter begann. Für uns gab es letzte Hinweise, eine
abschließende Passagierliste, wobei sich u.a. herausstellte, daß eine
eigentlich eingeplante Großfamilie bis auf einen einzigen Angehörigen
"verstorben" war, sowie kurzes Posieren für ein paar Gruppenfotos.
Danach ging es direkt mit dem Bus raus auf's Rollfeld.
Der Weg dorthin war allerdings weit. Aufgrund der Baumaßnahmen gab es
offenbar keine Verbindung vom Terminal aus zum südlichen Vorfeld, so daß
wir zunächst über die direkte Terminalzufahrt in Richtung Autobahn das
Flughafengelände komplett verließen, um es dann über eine andere öst-
liche Einfahrt wieder zu befahren. Unterwegs standen bereits zahlreiche
Feuerwehrfahrzeuge in Reih und Glied am Straßenrand und ihre Besatzungen
"Gewehr bei Fuß".
Das letzte Stück der Fahrt führte schließlich direkt über die neu
gebaute südliche Start- und Landebahn (SLB), vorbei an großflächig
ausgelegten "X"en aus Folie - die Bahn ist halt noch nicht in Betrieb -
zum sogenannten Abroller M5, welcher als Unfallschauplatz diente.
(Interessant ist übrigens die Feinstruktur der SLB - so aus der Nähe
sieht man das ja auch selten (und ich hatte genügend Zeit, mir das
anzuschauen): Unzählige und erstaunlich tiefe Querrillen in nur wenigen
cm Abstand voneinander zur Vermeidung von Aquaplaning durchziehen die
gesamte Piste.)
Vor Ort waren neben den beiden Bussen, welche den verunglückten A320
darstellten, bereits zahlreiche Pressevertreter und andere Beobachter
versammelt. Eine Hebebühne erlaubte den Fotografen Aufnahmen von oben.
Nach letzten Einweisungen stiegen wir in das "Flugzeug" um, also in die
beiden Busse. Nach kurzer Zeit fiel auf, daß wir eigentlich alle
verkehrtherum saßen und quasi rückwärts flogen - die rechte "Tragfläche"
und somit die Pyrotechnik befand sich links von uns. Die Busse standen
aber nunmal so und für den Verlauf der Übung war das auch nicht weiter
von Bedeutung.
Das RUD-Team ging ein letztes Mal durch das "Flugzeug" und verteilte
großzügig frisches "Blut":
* Jede offene Wunde wurde ausgiebig getränkt (O-Ton: "Wir haben auch 5l-
Kanister ...")
* Der Passagier mit der großen Glasscherbe im Arm wurde unter Gelächter
gar nochmal nach draußen auf die Piste beordert und dort gründlich
"versorgt".
* Anderen Opfern lief das Blut in langen Bahnen übers Gesicht oder aus
offenen Wunden an Hals, Armen und Beinen.
* Einzelnen Passagieren wurde mittels Spritzen in den Mund die Möglich-
keit gegeben, Blut zu husten (infolge Rippenbruchs und Perforation der
Lunge) und damit ggf. die Retter buchstäblich anzuspucken.
* Eine Passagierin bot einer Mitarbeiterin des RUD-Teams, welche sich
ihre blutverschmierten Hände abwischen wollte, bereitwillig ihren
Jackenärmel an.
Letzte Absprachen, kurz vor 15 Uhr ging es dann los ...
Neben dem "A320" zündete die Pyrotechnik und eine Menge Rauch stieg auf.
Der Wind trieb diesen über die Busse hinweg, wodurch auch wir tatsäch-
lich eine Menge davon abbekamen. Anfangs noch belustigt, gingen dann
doch alle in ihre Verletzten-Rollen über. Nach anfänglichen Hinweisen an
die Crew ("Rauch!" "Da brennt was!") ging es dann zwar hektisch, aber
doch halbwegs geordnet ins Freie. Irgendjemand packte auch mich und wir
stolperten gemeinsam irgendwie raus.
Währenddessen war auch bereits die Feuerwehr von der westlichen Wache
herangerauscht, allen voran das 40t-Monster "Panther", und begann in
dichtem Qualm - sie standen direkt im Wind - mit der Brandbekämpfung.
Kurz danach kam von der Ostseite her Unterstützung.
Ich selbst habe zunächst, durch den Rauch wild hustend und keuchend, das
Weite gesucht, während mein Arm heftig blutete. Auf der Flucht von dem
brennenden Wrack weg hätte ich mich beinahe noch wirklich auf die Nase
gelegt, bin dann aber irgendwann in halbwegs sicherer Entfernung einem
anderen Passagier und schließlich einem Feuerwehrmann in die Arme
gelaufen, der mich auf eine bereitstehende Trage legte. Nach und nach
kamen weitere Passagiere dazu bzw. wurden von den Ersthelfern dort am
Fahrzeug gesammelt. Dummerweise im Schatten, was recht schnell recht
kühl wurde.
Und nun kam ein echter Zwischenfall: Aufgrund meiner heftigen gekünstel-
ten Husterei durch Rauchgasvergiftung und auch tatsächlich des Rauches
wegen bekam ich echte Atemprobleme. Zwar nicht dramatisch, aber ich
mußte mich auf der Trage doch erstmal aufsetzen. Kurz darauf war auch
ein Mitarbeiter des RUD-Teams bei mir und fragte "Tatsache oder Rolle?"
"Beides." Auch ein Feuerwehrmann war dabei, der mich erstmal in das
Fahrzeug setzte. Mit einer kurzen Inhalation war die Sache schnell
wieder gut, aber ich wurde vorsorglich doch "neutralisiert", d.h. aus
der Übung genommen, und sollte mit dem nächsten Bus vom Unfallort
weggefahren werden. Nach kurzer Absprache - auch mit der Übungsleitung
und der Polizei, damit die nicht plötzlich einen vermissten Passagier
haben - stieg ich dann in einen Kleinbus, wo ein paar der Beobachter
saßen. Die kuckten zwar erstmal komisch, was ich als "Verletzter" da
will, aber das war schnell geklärt.
So konnte ich also von dort aus ein bißchen zuschauen und mithören, was
die Beobachter so für Gedanken austauschten. Z.B. wunderten diese sich,
daß direkt neben uns und somit in unmittelbarer Nähe zum Unfallort der
Bus stand, in welchem unter polizeilicher Beobachtung die Unverletzten
gesammelt wurden, um später ins Konferenzzentrum des Flughafens gefahren
zu werden. Daß Menschen so dicht am Ort des Geschehens gesammelt werden
und praktisch ohnmächtig mitansehen müssen, wie ihre Angehörigen nur ein
paar Meter entfernt vor Schmerzen schreien oder gar sterben, stieß bei
den Beobachtern doch auf ziemliches Unverständnis.
Kurze Zeit später stieg dann plötzlich ein Sanitäter zu und fragte nach
der Person mit dem Asthma ...
Ich also raus und rüber in einen Rettungswagen (RTW). Es war tatsächlich
für meine "Tatsache" ein echter Notruf rausgeschickt worden und ich hat-
te meinen eigenen Rettungswagen! Der Arzt erklärte mir dann auch prompt
die Verwunderung in der Leitstelle, daß direkt nach dem Notruf wegen des
BER-Crashs noch zwei weitere eingingen, so als ob sich da jemand einen
Scherz erlaubt hätte. Aber beide waren echt. Die andere "Tatsache" war
ein Herzanfall oder sogar ein Herzinfarkt, zumindest war immer von letz-
terem die Rede, wenn man so Gespräche bzw. Funkverkehr mithören konnte.
Nach kurzem Gespräch mit dem Arzt, der üblichen Aufnahme der Personalien
und einem kurzen Check (Lunge, Sauerstoffgehalt des Blutes, Blutdruck,
alles OK) hatte ich die Wahl, entweder wirklich mit ins Krankenhaus zu
fahren oder wieder bei der Übung weiterzumachen. Eine echte Rettungs-
fahrt war aber nicht Sinn der Sache und mir gings auch wieder gut, daher
entschied ich mich natürlich für letzteres, bin raus aus dem RTW und
gesellte mich nach kurzer Rücksprache mit einem der Übungsleiter wieder
zu den Verletzten in der Sicherheitszone.
Und nun saß ich da also auf der SLB, leicht benommen, geschockt, schwer
atmend, mit schmerzendem Arm und tatsächlich frierend, während um mich
herum die Verletzten stöhnten und sich leichter verletzte Passagiere um
Hilfe und vor allem um wärmende Decken bemühten, welche anfangs kaum
vorhanden waren. Einzig ein paar wenige Rettungsfolien waren verfügbar -
bei dem Wind keine einfache Sache. Später kamen mit den eintreffenden
Rettungskräften auch endlich weitere wärmende Decken dazu. Zudem wurden
wir - sofern möglich - zu kleinen Gruppen zusammengesetzt, um uns
wenigstens gegenseitig etwas wärmen zu können. Ein Sanitäter saß bei
meinem Begleiter und mir und fragte immer wieder mal nach dem Befinden.
Mittlerweile war auch ein großes Zelt aufgebaut worden, in welches dann
die Verletzten auf Tragen gebracht wurden. Zudem waren Ärzte zu einer
ersten Bestandsaufnahme durch die Menge gegangen und hatten jedem Opfer
eine sogenannte Anhängekarte verpaßt, jeweils mit einer ersten Diagnose
sowie einer Einschätzung in Form einer Farbkarte, von grün/leichtver-
letzt über gelb bis rot/schwerverletzt. Blau und schwarz gab es übrigens
auch ...
Soweit zumindest die Theorie. Praktisch wurde bei einigen Passagieren
jedoch überhaupt keine Erstdiagnose aufgeschrieben, sondern einfach nur
so eine Farbkarte umgehängt. Andere wurden nach eigener Aussage von ein
und derselben Ärztin mehrfach befragt. Gerade zu Beginn der Übung
herrschte neben dem natürlich zu erwartenden Chaos doch auch eine
ziemliche Ratlosigkeit bzw. Überforderung auf Seiten der Einsatzkräfte.
Zumindest kam es uns so vor, als ob viele nicht so recht wüssten, was
sie nun tun sollten und wer überhaupt was zu sagen hat.
Zudem schienen so manche Retter nicht mit dem nötigen Ernst bei der
Sache zu sein bzw. sich zu sehr bewußt zu sein, daß es ja nur eine Übung
ist. Mein Ersthelfer von der Feuerwehr meinte zu meiner Armverletzung
nur "was immer das sein soll", bevor er einen flüchtigen Verband mit
lockerem Knoten anlegte.
Manche seiner Kollegen reagierten ähnlich unsensibel: "Andere sind noch
schlimmer dran als sie." - das mag zwar stimmen, trotzdem kann und darf
man sowas niemals einem verletzten, traumatisierten Passagier sagen, der
um Hilfe bittet! Und meine eigene Rauchgasvergiftung wurde trotz blauer
Lippen, Atemproblemen, Husten und verrußtem Gesicht gar nicht erkannt,
die Armverletzung (Schürf- und schwere Schnittwunde) nach Notverband als
leichte Verletzung eingestuft und fertig - grün. Vielleicht hätte ich
doch noch kollabieren sollen ...
Die absolute Krönung - und somit ein ziemliches Versagen zumindest eines
Teils der Rettungskräfte bzw. Betreuer - war die Tatsache, daß insgesamt
fünf als leicht verletzt eingestufte Passagiere - mich eingeschlossen -
in den Bus mit den Unverletzten gebracht wurden, welche ins Konferenz-
zentrum des Flughafens zur polizeilichen Erfassung und Befragung
gebracht werden sollten. Wir hatten dafür natürlich keinerlei Papiere.
Die den Bus begleitenden Polizisten schauten denn auch recht verwundert
und fragten sich, wieso jetzt plötzlich Verletzte eingeladen werden.
Zudem dauerte so manches ihrer Meinung nach ohnehin viel zu lange.
Eine Dame im hinteren Teil des Busses wies immer wieder auf ihre stark
im Gesicht blutende Begleiterin hin (Glassplitter in der Wange) und das
diese einen Arzt bräuchte. Nach kurzem Hin und Her blieben beide jedoch,
rat- und hilflos, im Bus.
Wir fuhren also ins Konferenzzentrum. Während der Fahrt konnte ich die
Unterhaltung der begleitenden Polizisten und somit auch den Polizeifunk
mithören. Die Beamten selbst waren verwundert bzw. sogar etwas besorgt
darüber, daß die Passagiere praktisch mithören können, wie über Funk
aktuelle Meldungen und vor allem Opferzahlen durchgegeben werden. So
wurde während der Fahrt z.B. durchgegeben, daß die Feuerwehr aktuell von
drei Toten und soundsoviel Verletzten ausgeht. Man stelle sich trauma-
tisierte Angehörige vor, die sowas mit anhören müssen. Aber im Ernstfall
scheint das wohl nicht ausgeschlossen zu sein.
Auch nicht ganz ohne war die Konfusion zwischen den einzelnen Verant-
wortlichen und Organisationen über die tatsächliche Besetzung des
Busses, schließlich waren unter den 27 Passagieren ja auch 5 Verletzte,
die eigentlich gar nicht hätten an Bord sein dürfen.
Unterwegs unterhielten sich die Polizisten u.a. auch über die echten
Probleme während der Übung, also die "Tatsachen". Der "Asthmafall" saß
innerlich grinsend direkt hinter ihnen, abermals war von einem Herz-
infarkt die Rede sowie gar von einer dritten Tatsache und einem, der
wohl von selbst ausgestiegen war. Und tatsächlich saß schräg hinter mir
ein "Toter" ...
Im Konferenzzentrum ging es nicht minder sonderbar weiter. Zwar wurde
direkt für leibliche Stärkung in Form von Gebäck und Getränken gesorgt,
doch mehr als "Wir kümmern uns um sie." haben zumindest wir verletzten
"Irrläufer" nicht erfahren. Wir standen rum und unterhielten uns. Es war
eine Atmosphäre wie auf einem Empfang oder einem Messestand. Wäre jemand
von uns nochmal ernsthaft in seine Rolle gefallen und womöglich dort im
Saal blutend oder rauchgasvergiftet zusammengebrochen - da hätte keiner
gewußt, was zu tun ist.
Irgendwann kam dann einer der RUD-Betreuer zu uns und teilte uns mit,
wir wären "neutralisiert", da wir schließlich gar nicht hier sein
dürften: Da hatten einige der Rettungskräfte schlichtweg Mist gebaut.
Nun dienen solche Übungen natürlich auch dazu, derartige "Fehlpässe"
aufzudecken, etwas erschreckend war es aber schon. Wir standen dann also
ein Weilchen entspannt im Foyer rum, aßen Kekse, tranken Wasser und
plauderten, während uns immer wieder Mitarbeiter vom "Airport Care Team"
fragten, ob wir denn schon erfaßt worden wären. Wir kassierten so einige
verwunderte Blicke, als wir ihnen stets mitteilten, daß wir nicht mehr
"mitspielten". Irgendwann trafen mit einem Krankentransport sogar noch
drei weitere Verletzte ein, einer davon gar mit gebrochenem Arm. Dieser
war zwar immerhin schon geschient worden, aber ein Konferenzzentrum ist
für derartige Verletzungen sicherlich nicht der optimale Ort.
Kurz danach war die Übung dann auch offiziell beendet, es war mittler-
weile weit nach 18 Uhr. Wir wurden zurück zum Ausgangspunkt am Terminal
gefahren und bekamen nach kurzer Abschlußrede einen Fragebogen zu
unserer Einschätzung der Übung in die Hand gedrückt. Nach Abgabe unserer
Ausweise bekamen wir als Dankeschön einen Beutel mit ein paar Gimmicks
und Werbegeschenken des Flughafens sowie einiger Airlines, darunter auch
ein Gutschein für freien Eintritt auf der neuen BER-Besucherterrasse.
Sowas nimmt man doch gerne mit. Dann ging es mit Bussen zurück zum
Bahnhof Schönefeld. Viele von uns waren noch immer voll geschminkt, was
u.U. im ÖPNV noch für einige Irritationen gesorgt haben dürfte.
Alles in allem war es ein höchst spannendes und auch sehr unterhalt-
sames Erlebnis. Gerade auch die Pannen und Zwischenfälle erlaubten so
manche Einblicke bzw. andere Betrachtungsweisen, die man sonst gar nicht
erfährt. Wir Komparsen - ich denke, da kann ich guten Gewissens für alle
sprechen - hatten jedenfalls eine Menge Spaß. Einige der Rettungskräfte
haben zwar noch Hausaufgaben zu machen bzw. hier und da mangelt es an
der Abstimmung, doch dafür sind solche Übungen da und das Gesamtfazit
fällt wohl größtenteils positiv aus. Bleibt nur zu hoffen, daß es bei
solchen Übungen bleibt - den Ernstfall will keiner.
* * *
Links:
TV-Bericht des RBB
http://www.rbb-online.de/brandenburgaktuell/archiv/index.media.!etc!medialib!rbb!rbb!aktuell!dossier!aktuell_20120303_probe.html
Posdamer Neueste Nachrichten
http://www.pnn.de/brandenburg-berlin/628660/
RUD-Team Lausitz
http://www.johanniter.de/dienstleistungen/fuer-veranstaltungen/sanitaetsdienste/realistische-unfalldarstellung/rud-lausitz/nachrichten/crash-ber-2012/
Micha
--
http://mfesser.de/blickwinkel
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